Was ist das?

Definition und Konzept

Hybride Bedrohungen lassen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden sowie zwischen Freund und Feind gezielt verschwimmen, indem sie untypische Instrumente in untypischen Kombinationen zum Einsatz bringen. So erzeugen sie einen Zustand strategisch kalkulierter Ambiguität, in dem das bedrohte Ziel seine Lage nicht mehr eindeutig einschätzen kann. Der Heidelberger Hybrid Threat Indicator macht diese Ambiguität messbar und wird damit zu einem Frühwarnsystem für hybride Bedrohungen und deren Entwicklung über Zeit. Dazu blickt sie auf die drei Ambiguitäts-Dimensionen Komplexität, Abstreitbarkeit und Bindungsfähigkeit.

Die Komplexität ergibt sich aus der Vielzahl und der Vielfalt der hybriden Bedrohungskampagne. Damit ist nicht nur die Anzahl der eingesetzten Instrumente relevant, sondern auch die Interaktionsmuster, in denen sie kombiniert werden. Je ungewöhnlicher diese Interaktionsmuster sind, desto höher die Komplexität. Damit verschleiern hybride Aggressoren ihre Intention.

Mit der Abstreitbarkeit wollen hybride Aggressoren entweder die Handlung selbst oder die Urheberschaft für eine Handlung verschleiern. Dazu setzen sie zum Beispiel geheime Spionageoperationen oder sogenannte Proxygruppen ein. Damit erschweren sie dem angegriffenen Staat, die hybriden Bedrohungskampagne zu beantworten bzw. zu bestrafen. 

Hybride Aggressoren machen andere Staaten strategisch von sich abhängig. Die damit aufgebaute Bindungsfähigkeit ist für sie ein Machthebel, den sie im richtigen Moment umlegen und gegen ihren Zielstaat einsetzen können. Entscheidend ist dabei die Vulnerabilität des angegriffenen Staates. Sie ergibt sich daraus, wie stark er auf den Import angewiesen ist und wie viele Partner ihm dazu zur Verfügung stehen.      

Wie der HTI hybride Bedrohungen misst

Der HTI vermisst Ambiguität entlang ihrer drei Dimensionen Komplexität, Abstreitbarkeit und Bindungsfähigkeit. Damit misst er nicht hybride Bedrohungen an sich, sondern die Chance auf hybride Bedrohungen in Form der Ambiguität. Aktuell kann er je ein Maß für Komplexität und für Bindungsfähigkeit ermitteln. Dazu kombiniert er unterschiedliche Datensätze und greift mit Künstlicher Intelligenz und sequentieller Netzwerkanalyse auf neueste Methoden der empirischen Sozialforschung zurück. Ein Indikator für Abstreitbarkeit befindet sich noch in der Entwicklung.

Datengrundlage

Grundlage für den Komplexitäts-Index bilden die Instrumente, die im Rahmen der hybriden Kampagne zum Einsatz kommen. Zu deren Eingrenzung orientiert sich unser Projekt an dem Modell des European Center of Excellence for Countering Hybrid Threats (Hybrid CoE), das insgesamt 33 Instrumente identifiziert. Die entsprechende Datengrundlage bilden die Ereignisdatensätze der Traversals Analytics and Intelligence GmbH, der und des European Repository of Cyber Incidents (EuRepoC) sowie die POLitical Event Classification, Attributes, and Types (POLECAT) Datenbank.

Der Indikator für Bindungsfähigkeit 

Um die Bindungsfähigkeit zu ermitteln, haben wir zusätzlich einen weiteren Datensatz aufgebaut, der die Berechnung der Energieabhängigkeit und die Abhängigkeit von ausländischen Direktinvestitionen erlaubt. Dazu setzt er die Energiebilanz ins Verhältnis zur insgesamt verfügbaren Energie. Die zugrundeliegenden Daten stammen von Eurostat und erlauben eine monatliche Auflösung für Energieabhängigkeit und eine jährliche Auflösung für die Abhängigkeit von ausländischen Direktinvestitionen. Der resultierende Index für die Bindungsfähigkeit kann zwischen 0 (=keine Bindungsfähigkeit) und 1 (=maximale Bindungsfähigkeit) liegen.   

Der Indikator für Komplexität

Die Komplexität einer hybriden Kampagne nimmt dann zu, wenn die Instrumente in untypischen Kombinationen bzw. Interaktionsmustern zum Einsatz kommen. Um zu messen wie untypisch sie sind, nutzt der HTI die sequentielle Netzwerkanalyse. Auf Basis von Beobachtungen aller NATO-Mitgliedsstaaten sowie der Ukraine bildet er einen Referenzgraphen für typische Instrumentenkombinationen. Das Komplexitäts-Maß gibt anschließend an, wie sehr sich eine bestimmte Instrumentenkombination zu einem bestimmten Zeitpunkt von dieser typischen Instrumentenkombination unterscheidet. Es kann zwischen 0 (=keine Komplexität) und 2 (=maximale Komplexität liegen).

Der Indikator für Ambiguität

Aktuell setzt sich das Maß für die Ambiguität aus der Komplexität und der Bindungsfähigkeit zusammen. Die Komplexität verschleiert die böswillige Intention des Angreifers und vergrößert die mögliche Angriffsfläche einer hybriden Kampagne. Die Bindungsfähigkeit wiederrum erhöht den verursachten Schaden, der von ihr ausgelöst wird.

Ambiguität funktioniert dabei wie eine Welle: Ist sie besonders breit, trifft sie auf einen größeren Bereich (Komplexität). Ist sie besonders hoch, verursacht sie größeren Schaden (Bindungsfähigkeit). Je breiter und höher die Welle ist, desto unsicherer muss sich der Staat fühlen, auf den sie zurollt.   

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